Dirk Gratzel: Auf dem Weg zur Grünen Null
GREENZERO - Gründer Dirk Gratzel
Dirk Gratzel lebte alles andere als nachhaltig. Dann bringen seine Kinder ihn zum Umdenken: Als erster Mensch berechnet Dirk seinen ökologischen Fußabdruck, stellt sein Leben auf den Kopf - und entwickelt gemeinsam mit Wissenschaftler:innen den Ansatz des umweltneutralen Handelns.
Er raste mit dem SUV über die Autobahn, flog mehrmals in der Woche von Köln nach Berlin, lebte in einem großen Haus: Noch vor wenigen Jahren war der Lebensstil von GREENZERO-Gründer Dirk Gratzel überhaupt nicht nachhaltig.
Der Unternehmer und promovierte Rechtswissenschaftler ließ es sich gutgehen, an die Umwelt dachte er kaum.
„Ich war ein Abbild der Konsumgesellschaft“
Das Umdenken kommt schleichend. Zum Grübeln bringen ihn seine fünf Kinder. Die führen damals ein völlig anderes Leben als er: Sie besitzen kein Auto, wohnen in WGs, tragen Secondhandmode, priorisieren nachhaltigen Konsum, ernähren sich vegetarisch - und sind trotzdem glücklich. Oder gerade deswegen?
Dirk Gratzel beginnt, sich zu hinterfragen. 2016 fasst er einen weitreichenden Entschluss: Am Ende seines Lebens will er keine Umweltschulden hinterlassen. Er will umweltverträglich werden. Sein Ziel ist die grüne Null.
Unterstützung aus der Wissenschaft
Er recherchiert im Netz, sucht nach einem Ansatz, um seinen ökologischen Fußabdruck irgendwie messbar zu machen. Und findet: nichts. Die einschlägigen CO2-Rechner: für seine Zwecke viel zu ungenau. Also schreibt er Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt und bittet um Hilfe.
Matthias Finkbeiner, Professor für Technischen Umweltschutz an der TU Berlin, ruft ihn zurück. Die Ökobilanz eines Menschen habe bisher noch niemand berechnet, sagt er, aber er und sein Forscherteam hätten Lust, das zu ändern, Dirk solle doch mal vorbeikommen. Dirk fliegt (wie gewohnt) nach Berlin - das „Projekt greenzero“ beginnt.
Die Ökobilanz des Lebens
Der Plan: analysieren, reduzieren, kompensieren
Finkbeiner gibt Dirk einen Plan an die Hand: Er soll seine Umweltwirkungen messen, sie anhand der Daten reduzieren und den unvermeidbaren Rest kompensieren. Mit Unterstützung der Wissenschaftler:innen macht sich Dirk daran, sein bisheriges Leben minutiös zu kartographieren. Er erfasst jeden einzelnen Gegenstand, den er besitzt und jemals besessen hat, beobachtet seinen Lebensstil, listet alles in gigantischen Excel-Tabellen auf. Ganze sechs Monate ist er beschäftigt. Finkbeiners Team unterfüttert Dirks Daten mit den entsprechenden Schadstoffwerten.
Das Ergebnis ist alarmierend: Seit seiner Geburt hat Dirk rund 1.180 Tonnen CO2, fünf Tonnen Schwefeldioxid und eine Tonne Phosphat emittiert - seine Ökobilanz ist tiefrot. Allein sein CO2-Fußabdruck ist doppelt so hoch wie die des deutschen Normalbürgers. Den größten Anteil haben - für Dirk wenig überraschend - die zahllosen Flugreisen.
Treibhausgasemissionen um 70 Prozent gesenkt
Auf Basis der Daten ändert Dirk sein Leben: Er verzichtet auf das Flugzeug und weitestgehend auf das Auto, fährt stattdessen mit der Bahn. Er modernisiert sein Haus energetisch, nutzt Erneuerbare Energien. Und er ernährt sich jetzt größtenteils vegan. Das Ergebnis: Schon nach wenigen Monaten hat er seine Treibhausgasemissionen um 70 Prozent gesenkt. Damit liegt er jetzt deutlich unter dem deutschen Durchschnitt.
Aber Umweltprobleme verursacht Dirk weiterhin. Denn auch eine nachhaltige Lebensweise ist ökologisch bei Weitem nicht neutral. Die Lösung: Ausgleichsmaßnahmen, die Dirks vergangene und zukünftige Umweltbelastungen wiedergutmachen.
Auch ein nachhaltiger Lebensstil ist nicht neutral
Dirks Umweltschulden: mehr als 400.000 Euro
Gemeinsam mit der TU Berlin entwickelt er einen ganzheitlichen Kompensationsansatz. In einem ersten Schritt rechnen sie dabei die Ergebnisse seiner Ökobilanz in sogenannte Umweltkosten um: Mehr als 400.000 Euro Umweltschulden hat Dirk in seinem Leben schon angehäuft, jedes Jahr kommen 1.500 bis 2.000 Euro hinzu.
Im zweiten Schritt geht es ums Wiedergutmachen: Seine Schulden will Dirk kompensieren und der Natur in Form einer ökologischen Aufwertung zurückgeben. Dabei geht es nicht nur um CO2 und andere Klimagase. Auch andere Umweltwirkungen wie Überdüngung und Versauerung sollen von den Maßnahmen erfasst werden. „Ihr Schaden für die Artenvielfalt unseres Planeten ist mindestens so groß wie der der Klimaerhitzung“, sagt Dirk.
Die grüne Null in Sicht
Also kauft er zwei brachliegende Flächen der Montanindustrie im Ruhrgebiet, Polsum I und Polsum II – insgesamt sind sie 10 Hektar groß, was etwa 14 Fußballfeldern entspricht –, und renaturiert sie gemeinsam mit dem Ökologie-Team. So kann er die Umwelt- und Klimaschäden, die er verursacht hat und noch verursachen wird, bis zum Ende seines Lebens kompensieren.